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„Gegen die Wand“ – Theater Konstanz – Herbst 2012

Gegen die Wand“ ist die Geschichte von Cahit, einem depressiven Säufer, der sich selbst und seine türkische Herkunft verabscheut und der sein Auto mit voller Wucht gegen eine Wand knallt. Und „Gegen die Wand“ ist die Geschichte Sibels, einer jungen Türkin, die das echte Leben und vollkommene Freiheit genießen will, aber immer wieder gegen kulturellen Schranken ihrer Familie brettert und sich in einem Anfall der Verzweiflung die Pulsadern aufschneidet. Sibel trifft auf Cahit und sieht in ihm einen Ausweg: Scheinheirat! Die beiden bilden eine ungewöhnliche WG und bald entsteht eine destruktive Liebe, die beide Figuren erbarmungslos zerreibt.

Die Forschung unterteilt die Deutsch-Türkische Literatur gemeinhin in drei Phasen: Die erste Phase ist geprägt von Heimatverlust. Die türkischen Hilfsarbeiter werden entwurzelt, ihrer eigenen Kultur entrissen und ins kalte Deutschland versetzt. Dort verstehen sie kein Wort und die verlorene Heimat brennt im Hirn bis zur Depression. In der zweiten Phase regiert die Wut: Die Kinder der ersten Generation gehören weder in die Türkei noch nach Deutschland, sie verzerren sich nach Ausbruch, Rebellion und Freiheit / „Dein Türkisch ist ganz schön im Arsch. Was hast du mit deinem Türkisch gemacht?“ „Weggeworfen!“/. In der dritten Phase haben sich die deutsch-türkischen Autoren zu großen Teilen in Deutschland eingelebt, sie sind Teil der westlichen Welt und erkunden nun für sich die eigenen Wurzeln. Fatih Akins 2004 erschienener Film „Gegen die Wand“ ist dabei eindeutig der zweiten Phase zuzuordnen. Sibel will Leben, saufen, Drogen nehmen, ficken. Sie will ihre eigenen Regeln aufstellen, abseits der Türkei, ihrer Familie und Religion, die sie in ihrem Freiheitsdrang beschränken. „Gegen die Wand“ hat mit seiner Wucht und Kompromisslosigkeit für anhaltende Diskussionen gesorgt und das Bild des Deutsch-Türken gesprengt.

Regisseur Martin Nimz hat den oben verwobenen Stoff im vernebelten Herbst in Konstanz auf die Bühne gebracht. Gespielt wird mit vier Schauspielern: Andreas Haase mimt Cahit. Vollkommen ausgebrannt, absolut leergesoffen. Für diesen Cahit gibt es kein Ziel mehr und alles was war, ist weggewischt in unzähligen Vollräuschen. Und während Haases kahler Schädel im Bühnenlicht nur in matten weiß aufleuchtet, hat man das Gefühl, dass mit jedem Sibel-Auftritt (alias Sarah Sanders) ein Eimer Farbe auf die Bühne gekippt wird. Diese Sibel ist laut und hyperaktiv, springt und kreischt und tanzt ohne Pause solange, bis selbst der scheintote Cahit Feuer fängt. Sibel ist Cahits Defibrillator, doch als dessen Herz wieder pumpt, reißt er die junge Türkin mit ins Dunkel. Alle anderen Figuren werden von Kristin Muthwill und Thomas Fritz Jung verkörpert. Sie springen zwischen den Rollen, werden dabei von unglaublich dämlichen Kostümen (die freilich nur als Signale wirken sollen) illustriert und sorgen vor allen Dingen für ein unglaubliches Tempo.

Die Bühne frisst dabei fast den kompletten Raum und presst den Zuschauer regelrecht in die schmale, kreisrunde Sitzreihe, die sich am Rand des Raumes entlangschlängelt. Die hintere Wand dient als Projektionsfläche, darüber hinaus fährt immer wieder eine Leinwand in den Raum, auf die ebenfalls Filmfetzen und Liveübetragungen geworfen werden. Der Raum indes ist überhäuft von Müll, Massen an leeren Dosen, Kippen, Essen, Gitarren und einer Musikanlage, an der die Figuren immer wieder hantieren. Das Stück funktioniert im Zeitraffer, Highspeed-Theater, die Geschichte rauscht regelrecht am atemlosen Zuschauern vorbei – und wird dabei selbst zum Bild, zur Metapher für das echte, das unmittelbare Leben, nachdem sich Sibel so sehr sehnt. „Pure Vernunft darf niemals siegen“. Irgendwann hallt Tocotronic durch die Inszenierung und über all den Müll und all das angehäufte Drama. Ein wunderbar inszenierter Moment, währenddessen es Medien aus allen Rohren bläst: Musik, Theater und Film gehen für einige Sekunden Hand in Hand. Dann aber wird der Zuschauer weiter gerissen. Es gibt keine Bremsspuren.

Eine Verschnaufspause gibt es erst im zweiten Teil des Stücks. Die Szenerie: Eine Vergewaltigung in Istanbul. Die Musik und das Licht sind aus und dem Zuschauer bleiben nur Schatten und das penetrante Aufeinanderklatschen der Körper. Das ist so furchtbar, das man beinahe eingreifen möchte. „Halt!“ schreien. Und in diesen Sekunden wird deutlich, zu welcher Wucht Theater heute noch im Stande ist.

Natürlich muss sich die Inszenierung ein Stück (!) weit mit der Filmvorlage messen und natürlich ist das ein überaus schwieriger Vergleich: Fatih Akins Film gehört definitiv zu den aufregendsten und wunderbarsten Werken der jüngeren deutschen Filmgeschichte. Er lebt von einer Präsenz und vor allen Dingen von kalter Realität, die beinahe schmerzt. Birol Ünel ist Cahit, Akin hat den Film für ihn geschrieben. Produktionsfirmen sprangen ab, als von der Besetzung Ünels hörten, der einen Wohnwagen zerstörte und in die Türkei wegen eines Einreiseverbots geschmuggelt werden musste. Und Sibel Kikelli ist Sibel. Kikellis einzige Filmerfahrungen waren Billigpornos, ihr Spiel war roh wie Hackfleisch und passte gerade deshalb wie die Faust aufs Auge. Sanders und Haase ahmen nicht nach, sie finden ihren eigenen Grat, eigenen Nuancen der Geschichte. Das Stück ist also abstrakter, muss abstrakter sein: Es ist Literatur, voller Bilder und Anspielungen, eingefangenen Momenten, technischer Spielereien und transportiert dabei doch die selbe Gefühlslage, den selben Zeit- und Kulturgeist, die selbe Sehnsucht und Wut. Am Ende rauscht der Film selbst im Zeitraffer über die Bühne – das ist ein klares Verbeugen vor der aberwitzigen Vorlage, vor der sich Martin Nimz Inszenierung aber keinesfalls verstecken muss. Viel eher unterstreicht seine Version bestimmte Aspekte dieser großartigen Geschichte nachhaltig. Dick und fett mit Edding. Und es darf wieder diskutiert werden.

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